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Betrachtungen zur Corona-Krise 2/4

Geschrieben von maximilian am 5. Mai 2020

Allgemein

Betrachtungen zur Corona-Krise 2/4

Im Zuge der Corona-Krise kommt es zu vielseitigen Eingriffen in das öffentliche Leben und in den Alltag aller Menschen. Die Virusinfektion Covid-19 fordert die gesamte Gesellschaft. Kurzarbeit, Ladenschließungen, Kündigungen, Geldnot und viele weitere Schlagworte geistern derzeit durch die Medien und sind in aller Munde. Aber auch Wörter wie Solidarität, Ideenreichtum, Digitalisierung und Chance werden oft verwendet. Dazu passt die aktuell viel zitierte Aussage des Schweizer Schriftstellers Max Frisch: 

„Krise ist ein produktiver Zustand. Man muss ihm nur den Beigeschmack der Katastrophe nehmen.“

Was die Entwicklungen für eine Zeit nach Corona in Hinblick auf die Wissenschaft und die Lehre an der Hochschule ergeben könnten, versuchen die Lehrenden der HSN in einer Gastbeitragsserie zu beantworten. Als zweiter Beitrag in der Serie „Betrachtungen zur Corona-Krise“ äußert sich Prof. Dr. Elmar Hinz zu den Auswirkungen auf die Politik und Verwaltung.

Aus Ihrer Sicht als Verwaltungswissenschaftler: Wie werden die Corona-Pandemie und die damit einhergehenden Entscheidungen die Politik und Verwaltung für die Zukunft prägen?

Verwaltungswissenschaftlich frage ich mich, wie Politik und Verwaltungen in Zukunft bei ihren Risikoabwägungen mit den Freiheitsrechten der Bürger umgehen werden. Auch Corona darf nicht 70 Jahre Grundgesetz erschüttern. Möglicherweise ist das Grundgesetz noch nicht sicher genug vor populistischer Politik von rechts, von links und anderen vermeintlich gemeinwohlorientierten Partikularinteressen. Immerhin hat der Bundestag (Legislative) erreicht, dass der Entwurf eines „stärkeren“ Infektionsschutzgesetzes durch Minister Spahn (Exekutive bzw. genauer Gubernative) u.a. beim Zugriff auf Handydaten nachgebessert wurde. Nicht präzisiert wurde hingegen die Rechtsgrundlage für Ausgangsbeschränkungen. Eine Analyse der Unterschiede in den Allgemeinverfügungen der Bundesländer und Kommunen würde vielleicht ein erster Beitrag zu einem tieferen Verständnis des in unserer Gesellschaft variierenden Verständnisses von Verwaltung sein.

Mit zunehmender Dauer der Restriktionen wird die Kritik der Bürger stärker – vor allem am Verwaltungsapparat. Wie schätzen sie die tatsächliche Lage ein?

Aus Managementperspektive fällt auf, dass der Staat auf allen seinen Ebenen Handlungsfähigkeit zeigt und (noch) die am Stammtisch beliebte Kritik am Verwaltungshandeln kein Thema ist. Wenn am Stammtisch das nächste Mal – zu Recht – über totalitäre Systeme irgendwo auf der Welt geschimpft wird, sollte sich aber jeder Einzelne fragen, was er tut, dass Totalitarismus sich nicht vor unserer Haustür ausbreitet. Die individuelle Verantwortung beginnt meiner Einschätzung nach schon dann, wenn wir Vorbilder auswählen und wie wir mit neuen Ideen und Technologien umgehen: „copy & paste“ ist nicht nur für wissenschaftliche Arbeiten unangemessen. Was z.B. in China funktioniert, muss nicht für uns angemessen sein. Dennoch wird die Krise ein Lehrstück für Digitalisierung sein – es wird nicht mehr behauptet werden können, dass bestimmte Prozesse nicht digitalisierbar sind oder erst in 10 Jahren digitalisiert werden müssen. Ob und wie gelungene Provisorien nach der Krise in den Regelbetrieb integriert werden, bleibt in bürokratischen Handlungsmustern aber weiter eine Herausforderung – jedes Individuum ist am Ende auch Teil einer Herde.

Vor dem Hintergrund vieler provisorischer Prozessentscheidungen, ausgelöst durch die Corona-Pandemie – Welche Chancen ergeben sich daraus aus Ihrer Sicht für die Zeit nach Corona?

Was einzelne Verwaltungsprozesse angeht, habe ich die Hoffnung, dass gemeinsam aus der Krisenerfahrung gelernt und Lösungen für eine freie Welt entwickelt werden können: Weder Abschottung noch die vollständige Abgabe, möglicherweise für die Gesellschaft, wichtiger Kompetenzen und Produktionsfähigkeiten haben Zukunft. Vielleicht macht die Krise auch denen, die normalerweise weniger nah am Markt handeln dürfen, deutlich, dass die prompte Auseinandersetzung mit einer konkreten Lage hilfreich für das eigene professionelle Handeln ist. Sicher wird auch zu hinterfragen sein, ob das bisher vertretene Verständnis von kritischen Infrastrukturen und Krisenmanagement überarbeitungsbedürftig ist.

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