NĂ€he durch Distanz: Psychosoziale Onlineberatung
von: Mara Stieler
NĂ€he durch Distanz â geht das ĂŒberhaupt? Vor der Corona-Krise hĂ€tte ein groĂer Teil der Bevölkerung dies vermutlich verneint. Durch Corona sind oder wurden wir jedoch seit nunmehr zwei Jahren gezwungen, Kontakte einzuschrĂ€nken und auf digitale Wege der Kommunikation umzusteigen, um in Kontakt mit unserem Umfeld zu bleiben. GesprĂ€che ĂŒber Zoom, Skype oder Clubhouse wurden Teil unser neuen LebensrealitĂ€t. Der vielfach diskutierte âDigitalisierungsschubâ durch Corona betrifft nicht nur unser Privatleben, sondern auch die Hochschule, unseren Arbeitsplatz und viele weitere Bereiche unseres Lebens. Die Soziale Arbeit im Allgemeinen sowie psychosoziale Beratung im Besonderen war und ist hiervon ebenso betroffen. Zwischenmenschliche NĂ€he trotz bzw. gerade durch rĂ€umliche Distanz â das war fĂŒr viele Sozialarbeitende vor der Corona-Krise noch schwer denkbar. Durch die Krise galt es nun jedoch, Klient*innen auch im digitalen Raum zu erreichen bzw. den Kontakt aufrecht zu erhalten.
So stieg beispielsweise auch die studentische Beratung der Hochschule Nordhausen auf Videoberatung um und versuchte durch erhöhte PrĂ€senz in den sozialen Medien Studierende zu erreichen und die Zugangsbarrieren fĂŒr digitale Beratung zu erleichtern. Onlineberatung, bislang in der Beratungslandschaft lange Zeit als defizitĂ€re Form der Kommunikation bezeichnet, war plötzlich in aller Munde. Sozialarbeitende, die bis dato nur Beratung im face-to-face Setting anboten, erschlossen digitale Formen der Beratung fĂŒr sich, beispielsweise per Video. FĂŒr bereits seit vielen Jahren bestehende Plattformen der Onlineberatung brachte die Corona-Krise jedoch ebenso VerĂ€nderungen mit sich: Die Zahlen an Neuregistrierungen und Beratungsanfragen stiegen seit MĂ€rz 2020 rasant an. Dies dĂŒrfte zum einen daran liegen, dass face-to-face Beratungen gar nicht mehr oder nur eingeschrĂ€nkt möglich waren, zum anderen aber auch daran, dass Stress, Ăngste und psychosoziale Belastungen durch die Corona-Krise zunahmen. Doch wie erleben Ratsuchende Beratung im virtuellen Raum, die einzig und allein schriftbasiert erfolgt?
Meine Masterthesis, betreut von Prof. Dr. Petra Brzank an der Hochschule Nordhausen im Studiengang Therapeutische Soziale Arbeit beschĂ€ftigte sich unter anderem mit genau diesem Thema: Der psychosozialen Onlineberatung und der Frage danach, wie Ratsuchende Zugang zur Beratungsplattform finden, welche Faktoren die Beratung beeinflussen und welchen subjektiven Effekte die Beratung fĂŒr Ratsuchende mit sich bringt. Die Ergebnisse meiner Studie, in der ich jugendliche Ratsuchende der Onlineberatungsplattform Jugendnotmail befragt habe, sind vor kurzem als Artikel beim e-beratungsjournal erschienen. Dieser Blogbeitrag soll einen kurzen Ăberblick bieten, was unter psychosozialer Onlineberatung verstanden wird, welche Formen der Onlineberatung es gibt und welche zentralen Ergebnisse die Studie ergab.

Unter Onlineberatung werden grundsÀtzlich zunÀchst einmal alle Form der Beratung verstanden, die auf die Infrastruktur des Internets angewiesen sind. Hierunter fallen zum einen synchrone Formen der Beratung (Beratung in Echtzeit, also beispielsweise per Chat), zum anderen aber auch asynchrone Formen der Beratung (also zeitversetzt, beispielsweise per Mail). Weiterhin unterscheidet man zwischen textbasierten Formen der Beratung und videobasierter Beratung, die besonders seit der Corona-Krise einen Boom erlebte. Oftmals existieren auch blended-Variationen, also eine Mischung dieser unterschiedlichen Settings, teils auch in Kombination mit PrÀsenzberatung.
Die Beratung im digitalen Raum bringt einige Besonderheiten mit sich, die unterschiedliche Vor- und Nachteile mit sich bringen. Das hier schon mehrfach erwĂ€hnte PhĂ€nomen âNĂ€he durch Distanzâ beispielweise meint, dass zwischenmenschliche NĂ€he empfunden wird, obwohl man die Person, mit der man im Kontakt steht, noch nie persönlich gesehen hat und womöglich nur ihren Vornamen kennt. Durch diese AnonymitĂ€t fĂ€llt es vielen Ratsuchenden leichter, ihre Gedanken mitzuteilen und sich gegenĂŒber Berater*innen zu öffnen â ein PhĂ€nomen, das wir selber aus dem Netz kennen: Von einem persönlichen Problem zu erzĂ€hlen, geht ĂŒber Whatsapp oftmals leichter als im persönlichen GesprĂ€ch: Man hat kein direktes GegenĂŒber vor sich und somit können Hemmungen wegfallen.
Ein weiterer Vorteil ist die zeit- und ortsunabhĂ€ngige Form der Kommunikation â in allen asynchronen Formen der Beratung wie beispielsweise per Mail können Ratsuchende zu jeder Tages- und Nachtzeit eine Nachricht schreiben. Gleichzeitig schwingt hier aber auch ein Nachteil mit: FĂŒr akute Krisen eignen sich Formate wie die Mailberatung weniger, da Beratende auf Anfragen nicht sofort reagieren können. Als zentraler Wirkfaktor gilt in Online- wie PrĂ€senzberatung die Beratungsbeziehung zwischen Ratsuchendem und Beratenden.
Dass im digitalen Raum eine tragfĂ€hige und professionelle beraterische Beziehung hergestellt werden kann, wurde im Rahmen unterschiedlicher Studien bereits empirisch nachgewiesen. In der Praxis stöĂt man hier ungeachtet dessen oftmals noch auf Skepsis der Beratenden, weswegen die Erfassung der beraterischen Beziehung eine Hauptfragestellung meiner Masterarbeit darstellte. Von Interesse war fĂŒr mich zum einen, ob die Beratungsbeziehung im digitalen Setting spĂŒrbar wird und zum anderen, ob sie sich im Vergleich unterschiedlicher Formen der Onlineberatung signifikant unterscheidet. Auf Jugendnotmail wird Mailberatung, ein Forum sowie Einzel- und Gruppenchatberatung angeboten. Um die Beratungsbeziehung zu erfassen, habe ich Haltungen der lösungsorientierten Beratung und der klientenzentrierten GesprĂ€chsfĂŒhrung operationalisiert bzw. vorhandene Items aus veröffentlichten Studien fĂŒr meine Fragestellung angepasst.
Die Beratungsbeziehung wurde ĂŒber alle Angebotsformen hinweg fĂŒr Ratsuchende spĂŒr- und erlebbar. In meiner Auswertung wurde erkennbar, dass es hinsichtlich der Beratungsbeziehung keinen Unterschied zu machen schien, ob Ratsuchende nur eine einmalige Beratung im Einzelchat in Anspruch nahmen oder ĂŒber mehrere Mails hinweg mit dem*der Berater*in in Kontakt standen: In beiden FĂ€llen wurden ĂŒber alle Items hinweg hohe Zustimmungswerte deutlich. Die User*innen gaben an, dass Beratende sich genug Zeit fĂŒr ihr Anliegen nehmen, auf wichtige Themen eingehen und sie bei der Suche nach eigenen Lösungen unterstĂŒtzen. Weitere Ergebnisse der quantitativen Auswertung könnt ihr hier nachlesen. In den Freitextantworten gegen Ende der Befragung wurde zudem offenbar, dass die Onlineberatung einigen Jugendlichen half, eine verĂ€nderte Sichtweise ihres Anliegens zu gewinnen, mit Personen aus ihrem engeren Umfeld ĂŒber das Beratungsanliegen zu sprechen und sie neue Emotionen und Verhaltensweisen einĂŒben konnten.
Insgesamt lieĂ sich in der Online-Befragung also ein sehr positives Fazit ĂŒber das gesamte Beratungsangebot hinweg ziehen: Subjektive Effekte der Onlineberatung wurden fĂŒr die Ratsuchenden deutlich spĂŒrbar und standen im engen Zusammenhang mit der Beratungsbeziehung. Diese Ergebnisse reihen sich in weitere Akzeptanz- und Wirksamkeitsstudien der Onlineberatung der vergangenen Jahre ein, stehen aber wie bereits beschrieben teils in Diskrepanz zur gelebten Praxis der psychosozialen Beratungslandschaft. Viele Sozialarbeitende beraten seit der Corona-Krise zwar online, fĂŒhlen sich hierfĂŒr aber nicht ausreichend qualifiziert oder vorbereitet. Auch datenschutzrechtliche Fragen oder fehlende technische Ausstattung wurden teils als Hindernis benannt. Die Adaptation von analogen Methoden der Beratung ins Digitale benötigt Fort- und Weiterbildung, ausreichend Zeit, Raum zum Ăben und eine entsprechende Offenheit der Beratenden. Zudem braucht es Gelegenheiten fĂŒr einen offenen Diskurs unter FachkrĂ€ften: Diesen schuf die Hochschule Nordhausen beispielsweise im Rahmen von Veranstaltungen wie âFacetten der Digitalisierung in der Klinischen Sozialarbeitâ.
An diese Erfahrungen gilt es anzuknĂŒpfen. Die curriculare Verankerung von Modulen rund um die Digitalisierung in der Sozialen Arbeit erscheint hier ebenso notwendig wie ein Umdenken der Praxis. Die Onlineberatung als gleichwertige Form der psychosozialen Beratung erschien vor einigen Jahren vielen FachkrĂ€ften noch unrealistisch: Digitalisierung, Mediatisierung und nicht zuletzt auch die Corona-Krise sorgen nun jedoch dafĂŒr, dass die Onlineberatung ihren Exotenstatus allmĂ€hlich verliert und bald hoffentlich ins Standardrepertoire von Berater*innen aufgenommen wird. Diese VerĂ€nderungen können im GroĂen wie im Kleinen angestoĂen werden: Deswegen freut es mich sehr, dass ich hier an der Hochschule Nordhausen die Möglichkeit hatte, zu diesem Thema zu forschen und nun weiterfĂŒhrenden Fragestellungen in meiner TĂ€tigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut fĂŒr E-Beratung der TH NĂŒrnberg nachgehen kann.