An der HSN weht zurzeit eine Flagge in den Farben des Regenbogens. Warum? Die Regenbogenfahne steht fĂŒr Vielfalt und Lebensfreude. Sie wurde bereits 1969 bei der Beerdigung von Judy Garland getragen, die damals mit ihrem Lied „Over the Rainbow“ viele bezauberte. Ihre sechs Farben symbolisieren das Leben (rot), die Gesundheit (orange), die Sonne (gelb), die Natur (grĂŒn), die Kunst (blau) und den Geist (violett). Sie zu hissen ist aber nicht nur ein Akt der Lebensfreude, sondern auch ein Zeichen der SolidaritĂ€t mit Minderheiten, insbesondere mit lesbischen, schwulen, bisexuellen, transsexuellen Menschen und „queers“, die nicht ins heteronormative Weltbild passen.

Die Angst vorm Anderssein hat ihren Ursprung in der bereits von Karl V. geschaffenen Constitutio Criminalis Carolina, die „widernatĂŒrliche Unzucht“ mit der Todesstrafe ahndete und erst von den Preußen in eine GefĂ€ngnisstrafe abgemildert wurde. WĂ€hrend der Nazizeit wurde jedoch der § 175 verschĂ€rft und tausende von mit dem rosa Winkel markierten und stigmatisierten HĂ€ftlingen kamen in den Konzentrationslagern um. Erst 2017 wurden Schwule und Lesben in Deutschland rehabilitiert und rechtlich den anderen Opfern der Terrorjustiz im Nationalsozialismus gleichgestellt. In vielen LĂ€ndern werden Menschen mit anderer sexueller Orientierung noch immer verfolgt. So listet die internationale Interessensvertretung fĂŒr homosexuelle Menschen ILGA fast siebzig LĂ€nder auf, in denen HomosexualitĂ€t streng bestraft wird. In 13 LĂ€ndern wird dafĂŒr sogar die Todesstrafe verhĂ€ngt. In Uganda, wo Zeitungen öffentlich dazu aufgerufen haben, LGTBQ-Menschen aufzuhĂ€ngen, soll nach Auskunft von Amnesty International die Todesstrafe nun wieder eingefĂŒhrt werden. Auch in Europa sind wir keineswegs frei von Homophobie. In Polen haben sich 80 Gemeinden zu „LGTB-freien Zonen“ erklĂ€rt, unterstĂŒtzt von der rechtsnationalen Regierung in Warschau. Inzwischen verurteilte das EuropĂ€ische Parlament diese Aktion der Ausgrenzung und Stigmatisierung. Dennoch halten Kirche und Staat dagegen und nutzen sogar die aktuelle CORONA-Pandemie, um die Diskriminierung von LGTBQ-Menschen weiter zu verschĂ€rfen. Und die ganz besonders Frommen kĂ€mpfen, wie schon wĂ€hrend der AIDS-Krise, an vorderster Front gegen Freiheit, Vielfalt und Selbstbestimmung. So sind fĂŒr den katholischen Geistlichen Leonard Wilcynski „Homosexuelle, abtreibende Frauen, uneheliche Paare, die in SĂŒnde leben“ schuld an der Pandemie. FĂŒr den orthodoxen Rabbiner Meir Mazuz sind die Schuldigen homosexuelle und queere Menschen, die auf den CSD-Paraden frech fĂŒr ihre Rechte eintreten. Der sunnitische Chef der tĂŒrkischen Religionsbehörde Diyanet, die den Großteil der Moschee-Gemeinden in Deutschland kontrolliert, macht Homosexuelle fĂŒr die Pandemie verantwortlich und bekommt dafĂŒr RĂŒckendeckung des PrĂ€sidenten Erdoğan und der ihm nahestehenden Medien. Und der evangelikale Pastor Ralph Drollinger, der den amerikanischen PrĂ€sidenten wöchentlich zur Gebetsstunde trifft, sieht in der CORONA-Pandemie eine göttliche PrĂŒfung, ausgelöst wahlweise durch Umweltaktivisten, Homosexuelle oder Demokraten. Vor diesem Hintergrund ĂŒberrascht es nicht, dass sich bislang nur zwei Regierungschefs fĂŒr die Verbrechen an sexuellen Minderheiten in ihren LĂ€ndern entschuldigt haben: der kanadische Premier Justin Trudeau und der deutsche BundesprĂ€sident Frank-Walter Steinmeier. Große Teile unserer Gesellschaft sind offenbar noch nicht bereit fĂŒr Toleranz und DiversitĂ€t, von den Stammtischen bis in die höchsten Kreise. Und immer noch werden in Deutschland LGTBQ-Menschen stigmatisiert, diskriminiert und ausgegrenzt. Wagt ein junger Mensch sein Coming-Out, lĂ€uft er Gefahr, in seinem sozialen Umfeld geĂ€chtet und sogar von seinen eigenen Eltern verstoßen zu werden – gewiss auch einer der GrĂŒnde fĂŒr die dreifache Selbstmordrate bei homosexuellen Jugendlichen. Die Regenbogenfahne weht daher aus gutem Grund ĂŒber dem Campus der Hochschule Nordhausen: Hier ist ein Ort, der sich selbstbewusst zu Vielfalt, Toleranz, SolidaritĂ€t und Lebensfreude bekennt – und alle Welt soll es sehen.

(Text: Prof. Dr.-Ing. Dieter D. Genske / Foto: Tina Bergknapp)