Startseite » Nähe durch Distanz: Psychosoziale Onlineberatung

Nähe durch Distanz: Psychosoziale Onlineberatung

Geschrieben von Tina am 2. März 2022

Allgemein

Nähe durch Distanz: Psychosoziale Onlineberatung

Nähe durch Distanz: Psychosoziale Onlineberatung

von: Mara Stieler


Nähe durch Distanz – geht das überhaupt? Vor der Corona-Krise hätte ein großer Teil der Bevölkerung dies vermutlich verneint. Durch Corona sind oder wurden wir jedoch seit nunmehr zwei Jahren gezwungen, Kontakte einzuschränken und auf digitale Wege der Kommunikation umzusteigen, um in Kontakt mit unserem Umfeld zu bleiben. Gespräche über Zoom, Skype oder Clubhouse wurden Teil unser neuen Lebensrealität. Der vielfach diskutierte „Digitalisierungsschub“ durch Corona betrifft nicht nur unser Privatleben, sondern auch die Hochschule, unseren Arbeitsplatz und viele weitere Bereiche unseres Lebens. Die Soziale Arbeit im Allgemeinen sowie psychosoziale Beratung im Besonderen war und ist hiervon ebenso betroffen.  Zwischenmenschliche Nähe trotz bzw. gerade durch räumliche Distanz – das war für viele Sozialarbeitende vor der Corona-Krise noch schwer denkbar. Durch die Krise galt es nun jedoch, Klient*innen auch im digitalen Raum zu erreichen bzw. den Kontakt aufrecht zu erhalten.

So stieg beispielsweise auch die studentische Beratung der Hochschule Nordhausen auf Videoberatung um und versuchte durch erhöhte Präsenz in den sozialen Medien Studierende zu erreichen und die Zugangsbarrieren für digitale Beratung zu erleichtern. Onlineberatung, bislang in der Beratungslandschaft lange Zeit als defizitäre Form der Kommunikation bezeichnet, war plötzlich in aller Munde. Sozialarbeitende, die bis dato nur Beratung im face-to-face Setting anboten, erschlossen digitale Formen der Beratung für sich, beispielsweise per Video. Für bereits seit vielen Jahren bestehende Plattformen der Onlineberatung brachte die Corona-Krise jedoch ebenso Veränderungen mit sich: Die Zahlen an Neuregistrierungen und Beratungsanfragen stiegen seit März 2020 rasant an. Dies dürfte zum einen daran liegen, dass face-to-face Beratungen gar nicht mehr oder nur eingeschränkt möglich waren, zum anderen aber auch daran, dass Stress, Ängste und psychosoziale Belastungen durch die Corona-Krise zunahmen. Doch wie erleben Ratsuchende Beratung im virtuellen Raum, die einzig und allein schriftbasiert erfolgt?

Meine Masterthesis, betreut von Prof. Dr. Petra Brzank an der Hochschule Nordhausen im Studiengang Therapeutische Soziale Arbeit beschäftigte sich unter anderem mit genau diesem Thema: Der psychosozialen Onlineberatung und der Frage danach, wie Ratsuchende Zugang zur Beratungsplattform finden, welche Faktoren die Beratung beeinflussen und welchen subjektiven Effekte die Beratung für Ratsuchende mit sich bringt. Die Ergebnisse meiner Studie, in der ich jugendliche Ratsuchende der Onlineberatungsplattform Jugendnotmail befragt habe, sind vor kurzem als Artikel beim e-beratungsjournal erschienen. Dieser Blogbeitrag soll einen kurzen Überblick bieten, was unter psychosozialer Onlineberatung verstanden wird, welche Formen der Onlineberatung es gibt und welche zentralen Ergebnisse die Studie ergab.

Unter Onlineberatung werden grundsätzlich zunächst einmal alle Form der Beratung verstanden, die auf die Infrastruktur des Internets angewiesen sind. Hierunter fallen zum einen synchrone Formen der Beratung (Beratung in Echtzeit, also beispielsweise per Chat), zum anderen aber auch asynchrone Formen der Beratung (also zeitversetzt, beispielsweise per Mail). Weiterhin unterscheidet man zwischen textbasierten Formen der Beratung und videobasierter Beratung, die besonders seit der Corona-Krise einen Boom erlebte.  Oftmals existieren auch blended-Variationen, also eine Mischung dieser unterschiedlichen Settings, teils auch in Kombination mit Präsenzberatung.

Die Beratung im digitalen Raum bringt einige Besonderheiten mit sich, die unterschiedliche Vor- und Nachteile mit sich bringen. Das hier schon mehrfach erwähnte Phänomen „Nähe durch Distanz“ beispielweise meint, dass zwischenmenschliche Nähe empfunden wird, obwohl man die Person, mit der man im Kontakt steht, noch nie persönlich gesehen hat und womöglich nur ihren Vornamen kennt. Durch diese Anonymität fällt es vielen Ratsuchenden leichter, ihre Gedanken mitzuteilen und sich gegenüber Berater*innen zu öffnen – ein Phänomen, das wir selber aus dem Netz kennen: Von einem persönlichen Problem zu erzählen, geht über Whatsapp oftmals leichter als im persönlichen Gespräch: Man hat kein direktes Gegenüber vor sich und somit können Hemmungen wegfallen.

Ein weiterer Vorteil ist die zeit- und ortsunabhängige Form der Kommunikation – in allen asynchronen Formen der Beratung wie beispielsweise per Mail können Ratsuchende zu jeder Tages- und Nachtzeit eine Nachricht schreiben. Gleichzeitig schwingt hier aber auch ein Nachteil mit: Für akute Krisen eignen sich Formate wie die Mailberatung weniger, da Beratende auf Anfragen nicht sofort reagieren können. Als zentraler Wirkfaktor gilt in Online- wie Präsenzberatung die Beratungsbeziehung zwischen Ratsuchendem und Beratenden.

Dass im digitalen Raum eine tragfähige und professionelle beraterische Beziehung hergestellt werden kann, wurde im Rahmen unterschiedlicher Studien bereits empirisch nachgewiesen. In der Praxis stößt man hier ungeachtet dessen oftmals noch auf Skepsis der Beratenden, weswegen die Erfassung der beraterischen Beziehung eine Hauptfragestellung meiner Masterarbeit darstellte. Von Interesse war für mich zum einen, ob die Beratungsbeziehung im digitalen Setting spürbar wird und zum anderen, ob sie sich im Vergleich unterschiedlicher Formen der Onlineberatung signifikant unterscheidet. Auf Jugendnotmail wird Mailberatung, ein Forum sowie Einzel- und Gruppenchatberatung angeboten. Um die Beratungsbeziehung zu erfassen, habe ich Haltungen der lösungsorientierten Beratung und der klientenzentrierten Gesprächsführung operationalisiert bzw. vorhandene Items aus veröffentlichten Studien für meine Fragestellung angepasst.

Die Beratungsbeziehung wurde über alle Angebotsformen hinweg für Ratsuchende spür- und erlebbar. In meiner Auswertung wurde erkennbar, dass es hinsichtlich der Beratungsbeziehung keinen Unterschied zu machen schien, ob Ratsuchende nur eine einmalige Beratung im Einzelchat in Anspruch nahmen oder über mehrere Mails hinweg mit dem*der Berater*in in Kontakt standen: In beiden Fällen wurden über alle Items hinweg hohe Zustimmungswerte deutlich. Die User*innen gaben an, dass Beratende sich genug Zeit für ihr Anliegen nehmen, auf wichtige Themen eingehen und sie bei der Suche nach eigenen Lösungen unterstützen. Weitere Ergebnisse der quantitativen Auswertung könnt ihr hier nachlesen. In den Freitextantworten gegen Ende der Befragung wurde zudem offenbar, dass die Onlineberatung einigen Jugendlichen half, eine veränderte Sichtweise ihres Anliegens zu gewinnen, mit Personen aus ihrem engeren Umfeld über das Beratungsanliegen zu sprechen und sie neue Emotionen und Verhaltensweisen einüben konnten.

Insgesamt ließ sich in der Online-Befragung also ein sehr positives Fazit über das gesamte Beratungsangebot hinweg ziehen: Subjektive Effekte der Onlineberatung wurden für die Ratsuchenden deutlich spürbar und standen im engen Zusammenhang mit der Beratungsbeziehung. Diese Ergebnisse reihen sich in weitere Akzeptanz- und Wirksamkeitsstudien der Onlineberatung der vergangenen Jahre ein, stehen aber wie bereits beschrieben teils in Diskrepanz zur gelebten Praxis der psychosozialen Beratungslandschaft. Viele Sozialarbeitende beraten seit der Corona-Krise zwar online, fühlen sich hierfür aber nicht ausreichend qualifiziert oder vorbereitet. Auch datenschutzrechtliche Fragen oder fehlende technische Ausstattung wurden teils als Hindernis benannt. Die Adaptation von analogen Methoden der Beratung ins Digitale benötigt Fort- und Weiterbildung, ausreichend Zeit, Raum zum Üben und eine entsprechende Offenheit der Beratenden. Zudem braucht es Gelegenheiten für einen offenen Diskurs unter Fachkräften: Diesen schuf die Hochschule Nordhausen beispielsweise im Rahmen von Veranstaltungen wie „Facetten der Digitalisierung in der Klinischen Sozialarbeit“.

An diese Erfahrungen gilt es anzuknüpfen. Die curriculare Verankerung von Modulen rund um die Digitalisierung in der Sozialen Arbeit erscheint hier ebenso notwendig wie ein Umdenken der Praxis. Die Onlineberatung als gleichwertige Form der psychosozialen Beratung erschien vor einigen Jahren vielen Fachkräften noch unrealistisch: Digitalisierung, Mediatisierung und nicht zuletzt auch die Corona-Krise sorgen nun jedoch dafür, dass die Onlineberatung ihren Exotenstatus allmählich verliert und bald hoffentlich ins Standardrepertoire von Berater*innen aufgenommen wird. Diese Veränderungen können im Großen wie im Kleinen angestoßen werden: Deswegen freut es mich sehr, dass ich hier an der Hochschule Nordhausen die Möglichkeit hatte, zu diesem Thema zu forschen und nun weiterführenden Fragestellungen in meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für E-Beratung der TH Nürnberg nachgehen kann.


Archiv