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Eine kleine Geschichte über Gerechtigkeit

Geschrieben von am 24. Januar 2019

Allgemein, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

Eine kleine Geschichte über Gerechtigkeit

***Blogpostreihe des Interdisziplinären Projekts Soziale Lebens- und Problemlagen 2.0***

Die mehrheitlich auf wirtschaftlichen Unterschieden beruhende Chancenungleichheit für Studierende in Deutschland und Europa ist vielfach erforscht und belegt. Dennoch findet, subjektiv wahrgenommen, kaum eine wahrnehmbare gesellschaftliche Debatte darüber statt. In der Studie der Hans Blöckler Stiftung „Ungleichheiten und Benachteiligungen im Hochschulstudium aufgrund der sozialen Herkunft der Studierenden“ werden diese Unterschiede aufgeschlüsselt und anschaulich erläutert. Die folgende, zugespitzte Geschichte soll die Ungleichheiten veranschaulichen. Die Geschichte ist erfunden, dies bedeutet jedoch nicht dass sie nicht wahr sein kann.Vor ein paar Jahren standen sie noch gemeinsam in der Schulkantine. Geil, Schnitzel. Man war sich einig.Seit zwei Jahren wohnt Maximilian nun in München. Jura. Sein Vater wollte das so, schließlich ist auch er Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei in dritter Generation. Die Wohnung in Schwabing- super hip und natürlich studentisch alternativ – kostet 1200 Euro Miete, aber so sieht eben die Nachfrage in den Großstädten aus wie man dem Mietspiegel der Stadt München, 2017 entnehmen kann. Kann man sich ja nicht aussuchen. Außerdem zahlt Papa. Den Vermieter, ebenfalls Anwalt, hat er damals beim Einzug kennengelernt und die Kaution bar bezahlt. Man kennt sich.Anna lebt mittlerweile in Frankfurt. Sechstes Semester Soziale Arbeit. Das Studium macht ihr Spaß, aber sie kommt nicht so voran wie sie es sich vorgestellt hat. Die Arbeit macht ihr zu schaffen. Aber wie die Miete zahlen? Als sie in Frankfurt ankam, hatte sie sich aufgrund der hohen Mietpreise für ein Zimmer im Studierendenwohnheim beworben. Wartezeit nach Auskunft des Studierendenwerks Frankfurt am Main: bis zu drei Jahre . Sie fand zunächst keine Unterkunft und wohnte in der vom örtlichen Asta organisierten Notschlafstelle für Erstsemester ohne Wohnung. Einer Turnhalle mit 500 anderen Erstis. Über eine Kommilitonin fand sie schließlich ein WG Zimmer für 600 Euro, ein fast unterdurchschnittlicher Preis laut Frankfurter Neue Presse (2018). Die Wohnung liegt ein wenig außerhalb der Innenstadt, aber Hauptsache ein Dach über dem Kopf dachte sich Anna. Ihre Eltern können sie finanziell nicht unterstützen, auch wenn sie gern würden. Anna bekommt den Bafög Höchstsatz: 735 Euro laut Bundesministerium für Bildung und Forschung.Neben der Miete bekommt Maximilian monatlich ein Taschengeld von seinen Eltern. Schließlich muss er auch leben. Von den 1000 Euro kann man ja schließlich auch keine Luftsprünge machen, denkt er sich. Außerdem ist das unter seinen Kommiliton*innen nichts Besonderes. Justus, Frederike und Friedrich bekommen das auch, sonst wäre der Skiurlaub in den Semesterferien wohl ausgefallen und ganz ohne Spaß geht so ein Studium auch nicht. Wenn es doch mal knapp wird, ruft Maximilian seinen Vater an. Der versteht das schon, er war ja auch mal jung.Mit Beginn des Studiums hat Anna angefangen zu jobben. 735 Euro, das reicht zwar für die Miete, aber für 135 Euro in Frankfurt leben? No way. Ihr Studium ist Vollzeit und anspruchsvoll. Trotzdem arbeitet sie 15 Stunden in der Woche als Zimmermädchen in einem Hotel. Minijob, Mindestlohn. Selten hat sie nach Arbeit und Uni noch die Kraft und den Elan sich an ihre Hausarbeiten zu setzen, geschweige denn zu lernen. Mit dem Studium ist sie mittlerweile drei Semester von der Regelstudienzeit entfernt. Ihr soziales Leben ist eingeschränkt. Wenn ihre Freunde unter der Woche feiern gehen, bleibt sie in ihrem Zimmer, morgen wieder arbeiten. Nach der privaten Nachhilfe in Vermögensrecht (all die Paragraphen!), geht Maximilian wie üblich in den Fitness Club und danach in die Sauna. Man muss sich zwischendurch auch mal was gönnen. Außerdem will er abends fit sein. Heute ist Ladies Night im P1.  Die Vorlesung morgen früh lässt er sausen. Sein Vater kennt den Professor noch von früher, er kommt hin und wieder zum  Essen. Über die Klausur macht er sich keine Gedanken, warum auch? Maximilian hat noch alles hingekriegt. Das ist Teil seiner Einstellung: Man muss nur wollen, jede*r kann es schaffen, schließlich haben in Deutschland alle die gleichen Chancen. Wenn jemand was anderes erzählt, verdreht er die Augen: Beantragt doch Bafög oder geht arbeiten. Faules Pack, sagt sein Vater auch immer.Im zehnten Semester bereitet Anna ihre Bachelorarbeit vor. Endlich. Es reicht ihr mittlerweile, sie will endlich Geld verdienen und unabhängig sein. Besonders schwierig war es, die Zeit während ihres Pflichtpraktikums zu finanzieren. Ein Nebenjob war zeitlich nicht mehr zu leisten. Sie musste zu einer Freundin ziehen und auf der Couch schlafen. Trotzdem hat sie nach dem Bachelor eine Teilzeitstelle in Aussicht. Immerhin. 1200 Euro netto entsprechend dem durchschnittlichen Einsteigergehalt für Sozialarbeiterinnen (laut Statista), endlich unabhängig.Maximilian hat sein Studium in Regelstudienzeit abgeschlossen. Er hat eine Stelle in der Kanzlei seines Vaters angetreten und wird sie eines Tages übernehmen. Außerdem hat er die Anzahlung für seine erste Wohnung geleistet. Wohneigentum ist schließlich die beste Investition. Das weiß jede*r.Schnitzel schmeckt beiden bis heute. Beitrag von Julia, P., Felix W. und Johannes Sch.    

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