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Es ist nicht die Aufgabe des Staates Menschen vor den Folgen ihrer Lebensentscheidungen zu bewahren.

Geschrieben von jaana am 20. Juli 2018

Wirtschafts- und Sozialwissenschaften

Es ist nicht die Aufgabe des Staates Menschen vor den Folgen ihrer Lebensentscheidungen zu bewahren.

** Blogpostreihe des Interdisziplinären Projekts Soziale Lebens- und Problemlagen 2.0 **

Neulich in der Zeitung: Oldtimer Lady (72) ist für jede Sauerei zu haben! Egal wo und wann! Melde dich einfach unter Tel.: 0190 696969Ich bin vor 34 Jahren auf diesen Platz gekommen und bis heute geblieben. Ich kenne nichts anderes, ich kenne kein Apartment, ich kenne kein Laufhaus, ich kenne kein Bordell. Ich bin dahingegangen und bin dageblieben. Die älteren Frauen konnten nicht mehr mithalten, hatten das Aussehen oder die Figur nicht mehr dafür oder konnten vom Wesen nicht gegen die Konkurrenz halten. Wir haben uns ein bisschen netter angezogen. Wir waren auch andere Kaliber. Wir sahen etwas hübscher, netter und femininer aus. Wir haben dann erst einmal andere Preise eingeführt. Die Umstände sind schlimm geworden, wie man Stunden dasteht, nichts mehr verdient und an den jungen Frauen sieht, wie es halt so rein und raus geht. Man will nicht den ganzen Tag irgendwo sitzen oder stehen oder warten und mit einem läppischen Trinkgeld nach Hause gehen. Ich wollte keine Sozialhilfeempfängerin sein. So musste ich nichts erbetteln, habe nichts geschenkt bekommen. 6,30 Mark gab es damals die Stunde und davon habe ich eingekauft. Es war arm, es war bitter, aber es hat gereicht. Ich werde da jetzt nicht mehr jeden Tag arbeiten. Allerdings muss ich ein- bis zweimal die Woche noch auf den Strich gehen, um überleben zu können.Anita ist 72 Jahre alt und auf dem Straßenstrich tätig. Sie ging mit 63 Jahren in Ruhestand und bekommt eine Rente von 423€, jedoch nur weil sie zwischenzeitlich als Kauffrau gearbeitet hat.Nach der Einführung des Prostitutionsschutzgesetzes 2002, gilt die Berufsbezeichnung „Prostituierte“ nicht mehr als „sittenwidrig“. Prostituierte sind verpflichtet sich anzumelden, an Beratungsgesprächen teilzunehmen und sich zu versichern. Der Zugang zum Sozialversicherungssystem ist gesetzlich verankert. Die selbstständigen Prostituierten können eine Privatversicherung abschließen und freiwillig in die Rentenversicherung einzahlen. Der Schutz vor Armut im Rentenalter ist das Ziel. Jedoch ist der Zugang zu der Rentenversicherung, nach der Einführung des Prostitutionsschutzgesetzes, problematisch. 57% der hauptamtlichen Prostituierten verfügen über keine Altersversicherung nach einer Befragung der Deutschen Rentenversicherung. Aufgrund der Ausweisungspflicht der Einnahmen über den Verdienst wird die Diskretion der Kunden nicht mehr gewährt. Dies macht es fast unmöglich sich zu versichern. Auf Grund dieser Problematik prostituieren sich die betroffenen Personen bis ins hohe Alter, um über die Runden zu kommen.Die aktuelle Lösung sieht vor, dass die selbständigen Prostituierten sich selbst versichern müssen und eine schlechtere Leistung erwarten, als die beschäftige Prostituierten. Aufgrund der wechselnden Einkommensverhältnisse ist es schwierig aus der Selbstständigkeit von Prostituierten eine gerechte Alterssicherung zu Finanzieren. Die Rentenversicherungen schützen sich so vor ausbleibenden Zahlungen, allerdings zum Nachteil der Prostituierten. Allgemein ist es schwer für die Prostituierten einen Nachweis über ihre Tätigkeit zu erbringen, da die Möglichkeiten, wie Rechnungen, Verträge oder Auftragsbestätigungen, in den meisten Fällen nicht vorliegen. Hier müsste der Staat besser eingreifen und die betreffenden Personen mehr unterstützen.Zukünftig sollte der Zugang zu einer gesetzlichen Alterssicherung mit gerechten Leistungen für alle Prostituierten problemlos möglich sein! So könnte beispielsweise der Solidaritätsstaat Deutschland der gesetzlichen Rentenversicherung Auflagen zur Gleichberichtigung aller Selbständigen zu den Beschäftigten erteilen.(Beitrag von Jule Dumack und Karsten Ripper; Foto: Dev – unsplash.com)

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